Donnerstag, 9. Juni 2011

Generation Praktikum reloaded


Sogar als Betroffener ist man ja bisweilen von den vielen Meldungen zum Thema „prekäre Arbeitsverhältnisse, Langzeitpraktika und Ausbeutung von Jungen“ bereits übersättigt. Was sich die Presse jetzt allerdings leistet, schlägt dem Fass den Boden aus.

Foto: bbroianigo / pixelio.de
Montag Morgen: Ein junger Student macht sich unmotiviert schlurfend auf den Weg in die „Arbeit“. Das Praktikum wird ihm zwar nicht bezahlt aber nachdem er irgendwie seine Pflichtpraktika machen muss um sein Studium abschließen zu können, muss er diese bittere Pille Tag für Tag schlucken. Von Ausbildung ist dabei kaum die Rede. Außer wenn es darum geht ihm zu erklären wie er gewisse niedere Dienste verrichten soll wird ihm keinerlei berufsrelevantes Wissen vermittelt.
Traue keiner Statistik die du nicht selber gefälscht hast
Was trist klingt, ist für viele junge Menschen in Österreich aber einfach Alltag. Das Leben ist hart, früher war alles besser, die Wirtschaftskrise ist schuld, es geht halt nicht anders. Eine kaum enden wollende Fülle an Platitüden rollt daher, wenn man wagt über das System Praktikum nachzudenken. Und so stürzt man sich von einem Praktikumsverhältnis ins nächste um ja um jeden Preis eine Lücke im Lebenslauf zu verhindern – denn eine eigentlich gesuchte Anstellung zu finden wird immer schwerer. In diesem Rad gefangen erscheint es dem Einzelnen dann schon bisweilen verrückt bis verhöhnend, wenn dann in einer Studie behauptet wird, dass es in Österreich keine Generation Praktikum gäbe. Angeblich hätten, der Studie des internationalen Zentrums für Hochschulforschung in Kassel zufolge, zwei Drittel der Befragten derzeit eine Fixanstellung haben. Das mag wohl stimmen. Was dabei aber nicht hervorsticht ist die Tatsache, dass die Befragten im Zeitraum von 2003 bis 2008 ihr Studium abgeschlossen haben. Na Hallo? Wenn ein Student nach (im herbsten Fall 8 Jahren – von 2003-2011 – einen Job gesucht hat und jetzt endlich eine Anstellung bekommt und dann als Angestellter in der Statistik aufscheint soll das wissenschaftlich valide und aussagekräftig sein? Man möge selbst urteilen. Auch über das, was die „Presse“ als neues „Praktikumsmodell“ vorgestellt hat.
Es geht noch dicker:
Die österreichische Tageszeitung „Die Presse“ ist kreativ. Nicht nur im Inhalt und der Art und Weise ihn zu vermarkten, sondern auch in der ökonomischen Verwendung von „human resources“. Das beweist Sie mit Ihrer Ausschreibung für die Lehrredaktion. Wer diese nämlich absolvieren will, der muss schon ein bisschen reinhackln. Nicht nur um reinzukommen. Nein, schon vorher, damit er sich’s leisten kann genommen zu werden. Denn – nicht traurig, sondern verrückt aber wahr – ist: Die Presse verlangt für die Aufnahme in die Lehrredaktion ein abgeschlossenes (!) Studium und satte 1500€ an Entgelt für die Ausbildung die man dort dann 3 Wochen genießen darf. Die Gesamtdauer von 12 Wochen wird nämlich nach den ersten drei Wochen „Intensivtraining“ mit Training unter „Echtbedingungen“ verbracht – im Normalfall bedeutet das bei österreichischen Medien: Schreiben für den Mistkübel und das eine oder andere „Copy-Paste-Aktiönchen“ in einer Kurzmeldungsspalte. Ob das bei der Presse anders ist, darf bezweifelt werden.
Ausgefuchst:
Eigentlich ist das ganze ja ziemlich schlau: Wenn alle das so machen müssten, dann hätten wir nie wieder schlecht bezahlte Arbeitskräfte. Dann wären nämlich alle abhängigen Studentinnen und Studenten gut zahlende Arbeitskräfte. Ein geradezu „Fleischhacker’scher“ Einfall. Schließlich ist der junge, dynamische Chefredakteur des österreichischen Traditionsblattes ja dafür bekannt immer alle Dinge von einem völlig anderen Blickwinkel aus anzugehen.
„Wir haben ja nix davon“
Das Lieblingsargument von Unternehmen, die für Praktika nichts zahlen ist, dass sie mit dem Praktikanten mehr Mühe haben, als er Ihnen bringt. Das ist in mehreren Hinsichten nicht zutreffend. Klar: Der Praktikant bräuchte eine gewisse Aufmerksamkeit von Redakteuren, die wiederum Ihre Arbeit vernachlässigen müssten, um für sich aktiv etwas aus dem Praktikum mitzunehmen. Nach Erfahrungen bei „Sportwoche“, „Standard“, „Online-Kurier“, ORF-Sport und ORF-ZIB darf man dabei aber ganz klar sagen: Wer sich nicht mit Händen und Füßen aufbäumt um etwas sinnvolles machen zu dürfen, wird entweder den ganzen Tag das machen, was die Redakteure nicht interessiert oder den ganzen Tag gar nichts machen und sich fragen ob die Batterie seiner Uhr noch funktioniert, weil die Zeiger sich so langsam bewegen – denn: Fakt ist: Niemand nimmt sich freiwillig mehrmals Zeit für einen Praktikanten. Alleine damit wäre das Argument des „mehr Mühe als sonst was“ bereits entkräftet. Man kann das Spielchen aber noch weiter spielen. Denn in dem Moment, wo ein Praktikant etwas kann, weil er zum Beispiel schon ein fertiges Studium im richtigen Bereich hat, wird er auch eingesetzt wie eine normale Arbeitskraft. Er bringt also Input, der auch in das Endprodukt einfließt und damit von wirtschaftlicher Relevanz für das Unternehmen. Das wird auch bei der Lehrredaktion der „Presse“ der Fall sein. Denn wenn man schon Leute findet, die das so dringend machen wollen, dass sie sogar dafür zahlen, und aus denen dann noch zusätzlich auswählen kann,  dann sind es Leute, die in dem Bereich wohl schon einiges gemacht haben und sich von dieser Lehrredaktion erhoffen, dass sie als ihr Karriere-Sprungbrett fungiert. Daher ist wohl auch damit zu rechnen, wie auch in der Ausschreibung ausdrücklich erwähnt, dass „Veröffentlichungen möglich“ und wohl auch realistisch sein werden. Damit tötet die „Presse“ endgültig ihr eigenes Hauptargument.
Von „Presse“ und Freiheit
Frei seit 1948. So steht es stolz unter dem Logo auf der Titelseite. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass diese Angabe stimmt, denn die Presse bemüht sich im politischen Einflussspiel auf die Medien wohl tatsächlich um möglichst große Freiheit, so ist es umso tragischer, welche Politik sie bei der Lehrredaktion an den Tag legt. Wenn jemand bereits für ein Praktikum zahlen muss, wie soll er dann ein Selbstvertrauen entwickeln um später seine eigene Meinung kund zu tun. Gerade in einem Feld wie dem Journalismus ist das eine mittlere Katastrophe. Man züchtet eine Generation von Ja-und Amen-Sagern, die Ihre Seele dafür verkaufen würden um auf Zeilenhonorar Sachen zu schreiben die sie selbst nicht vertreten können oder wollen, nur um einmal etwas bezahlt zu kommen. Da sind für den Jung-Journalisten dann die Begriffe Rückgrat und journalistische Qualität so weit weg vom publizistischen Alltag wie ein Wunderbaum von einer ausgewachsenen Fichte. Eine sehr sumpfige Basis für die vierte Säule im Rechtsstaat.